Kathrin und Placi Venzin

Geissen mit Familienanschluss

Kathrin und Placi sind unter den Geissenbauern in der Val Medel sozusagen die Dienstältesten. Vor 20 Jahren übernahm Placi den Hof seines Onkels in Platta. Im Stall standen damals drei Kühe, sieben Rinder und zwölf Ziegen. Für mehr Tiere gab es keinen Platz, denn vier Bauern teilten sich die Stallungen. Heute gehört der Hof nur noch der Familie Venzin-Schnider, und mit ihnen leben hier 30 bis 40 Ziegen, 20 Mutterkühe mit 20 Rindern und 20 Schafen. Aus neun Hektar Land sind mit den Jahren 32 geworden, die Produktion von Natura Beef ist das Standbein. Es ist eine Betriebsgrösse, von der die sechsköpfige Familie gut leben kann.

Placi verbrachte schon als kleiner Bub viel Zeit auf dem Hof seines Onkels, aber als gelernter Werkzeugmacher war er doch ein Quereinsteiger. In den ersten Jahren habe er viel Lehrgeld zahlen müssen, erzählt er, und viel aus Fehlern gelernt. Aber er brachte auch einiges in Bewegung. Auf Bio stellte Placi schon Mitte der 90er Jahre um und er war der Erste im Tal, der die Anbindehaltung der Geissen aufgab. "Damals war es üblich, die Geissen den ganzen Winter über anzubinden. Mir hat das nie gepasst. Also habe ich den Stall umgebaut und einfach damit aufgehört. Die anderen Bauern waren skeptisch, aber dann sahen sie, dass es gut funktionierte."

Stärke statt Hochleistung

In der gemsichten Geissenherde der Familie Venzin finden sich viele Pfauen- und Strahlenziegen. Robuste, starke Tiere, die gut an das Leben in den Bergen angepasst sind. Sicher, Milchleistungsrassen würden doppelt so viel Milch geben. "Aber wenn du die oben auf den Berg stellst, in den Schnee, dann gehen sie ein. Die gehören ins Unterland. Eine Pfauenziege zum Beispiel, die  kann hier bei uns 15 Jahre alt werden. Ein Hochleistungstier, das wird nie so alt."

Von ihren Gitzi behalten Kathrin und Placi die weiblichen Tiere zur Nachzucht, die Böcke werden im Sommer geschlachtet. Dann sind sie ein halbes Jahr alt und wiegen 20 bis 25 kg. Das macht für Placi mehr Sinn als das Metzgen der sehr jungen und kleinen Ostergitzi. Die Muttertiere mit Junggeissen gehen im Sommer auf die Alp Tschamut, die Milchziegen auf die Alp Puzzetta, und die Mutterkühe auf die Alp Cristallina.

Die tiefe Verbundenheit mit den Tieren prägt das Denken und Handeln. Wenn Placi von den Ziegen erzählt, die mitten auf dem Hofplatz ihre Gitzi gebären und dabei auch von den ranghöheren Tieren in Ruhe gelassen werden, bekommt man eine Gänsehaut. Menschen und Tiere gehen ihren Weg gemeinsam, der Betrieb ist Teil der Familie. Da passen die Ziegen, diese neugierigen, zutraulichen Charaktertiere, gut ins Bild. Nicht dass es immer einfach wäre mit ihnen: "Wenn eine Ziege etwas vorhat, dann macht sie es. Wenn nicht heute, dann vielleicht nächste Woche, vielleicht übernächste - irgendwann gelingt es ihr", weiss Placi. Da müsse man schon sehr aufpassen, dass die Geissen im Dorf keinen Unsinn anstellen.

Kommt der Wolf?

Ihren Freiheitsdrang dürfen die Ziegen beim Weidegang im Herbst ausleben: Nach dem Alpsommer gehen sie hinauf nach Sogn Gions, wo sie bis zum Wintereinbruch frei laufen können. Manchmal gesellen sich die Gämsen dazu, und die Herde sieht auf einmal doppelt so gross aus! Sorgen bereitet Placi allerdings der Wolf. "Wenn er kommt, dann sind diese Zeiten der Freiheit vorbei", ist er überzeugt. "Dann holst du im Winter nur noch die Hälfte der Tiere zurück, denn der Wolf hat sich jeden Tag eine geholt. Eine ausgewachsene, wehrhafte Ziege, die hat vielleicht eine Chance. Aber die Jungtiere sind dort oben jedem grösseren Raubtier ausgeliefert."

Geburt und Tod, Leben und Sterben sind ein Teil des Alltags auf jedem Bauernbetrieb. "Bei jedem Tier, das auf die Welt kommt, bei jedem Gitzi, jedem Lamm, jedem Kalb, ist ein bisschen Glück dabei. Es kann gutgehen oder eben auch nicht. Das darf man nie vergessen. "Die glücklichen Momente, die guten Jahre zu geniessen, das hat die Familie dabei gelernt. Das Glück nicht selbstverständlich zu nehmen, sondern als das besondere Geschenk, das es ist.

Gute Aussichten

An la caura gefällt den beiden besonders, dass sie mit Menschen in Kontakt kommen, die sie sonst nie kennengelernt hätten. "Zum Beispiel auf den Jahresversammlungen. Das geniessen wir sehr." Frische Ideen und ein Aufwind für die Geissenhaltung in der Val Medel - auch für die Söhne David und Lucas sind das gute Aussichten. Die beiden seien vernarrt in Ziegen, erzählt Placi. David hat seine Ausbildung abgeschlossen und zusammen mit Lucas bereiten sie sich auf die Hofübernahme vor. Bereits jetzt entscheiden sie viel mit. Sie sollen ihre eigenen Erfahrungen machen dürfen - und ihre eigenen Fehler. Nur daran wächst man.